Entstehen durch TopfFit keine psychischen Schäden beim Kind?
Sicherlich stellst Du Dir die Frage beim Lesen - heißt es nicht von den Kinderärzten, Psychologen und anderen Experten, dass man Kinder ja nicht zu früh aufs Töpfchen setzen soll, sonst würde es einen seelischen Schaden nehmen?
Es ist bei TopfFit in dieser Hinsicht genauso wie auch bei allen anderen Sachen mit Kindern: Solange TopfFit nicht mit Druck oder Zwang ausgeführt wird, erleidet das Baby keine psychischen Schäden. Sobald aber ein "Muss" hinzukommt, ein Druck auf das Baby entsteht ("Nun mach doch endlich, du musst doch jetzt mal Pipi machen" etc.), dann entsteht auch ein Riss in der Ausscheidungskommunikation zwischen Mutter und Kind, der eventuell zu einem Streik des Kindes führt oder sich gar in anderen Verhaltensweisen des Kindes äußern kann.
Aber woher kommt diese Einstellung, zu frühes Sauberwerden sei schädlich für die Psyche eines Kindes?
Erst seit dem 18. Jahrhundert wurde die Kindheit thematisiert (aus den Zeiten davor sind kaum Informationen zur Erziehung oder zum Umgang mit Kindern bekannt. Babypflege spielte keine große Rolle, und deshalb wurde darüber auch kaum etwas aufgeschrieben) - und als dann im nächsten Jahrhundert auch Erziehungsratgeber populär wurden, wurden die Mütter von "Experten" mit Ratschlägen überschüttet. Im 18. Jahrhundert wurde den Müttern empfohlen, ihre Babys ab dem Alter von zwei, drei Monaten auf den Topf zu setzen. Das hatte aber überhaupt nichts mit der natürlichen Ausscheidungskommunikation zu tun, sondern es war eine rigide und für die Mütter recht bequeme Zwangsmaßnahme.
1962 veröffentlichte der bekannte Autor und Kinderarzt Dr. T. Berry Brazelton eine neue Methode der Sauberkeitserziehung in einem amerikanischen Ärzteblatt, die er kindzentriertes Sauberkeitstraining nannte. Er thematisierte die Sauberkeitsbereitschaft des Kindes - also Berücksichtigung der Entwicklung des Kindes und weg vom Zwang der Eltern. Auf jeden Fall steckt dahinter eine gute Absicht. Aber die Schlussfolgerung, dass Babys keine Wahrnehmung und Kontrollmöglichkeit über ihre Ausscheidungen besäßen und ihre Bedürfnisse nicht mitteilen können, solange sie nicht sprechen können, ist nicht richtig.
Dr. Marten deVries schrieb in Cultural Relativity of Toilet Training, dass nach dieser Veröffentlichung von Dr. Brazelton die Erziehungsratgeber einhellig ihre Meinung änderten, ohne wissenschaftliche Untermauerung der Theorie. Auch heute werden Brazeltons Maßstäbe für die Sauberkeitsbereitschaft immer noch in den meisten Büchern, Artikel und auf fast allen entsprechenden Webseiten zitiert - obwohl man mittlerweile eine Fülle von wissenschaftlichen Beweisen aus aller Welt für das Gegenteil gefunden hat.
Verschiedene Methoden der Sauberkeitserziehung
Es gibt unterschiedliche Sauberkeitserziehungsmodelle. Die meisten Eltern wenden die Brazelton-Methode an, bei der das Kind in langsamen Schritten (die Wochen und Monate dauern können) an das Sauberwerden gewöhnt werden. Sie zeigen dem Kleinkind erstmal das Töpfchen, setzen es dann vollbekleidet drauf, später dann mit nackigem Po. Dann wird der Inhalt der Windel ins Töpfchen getan und spezielle Windelhosen (z. B. herunterziehbare Wegwerfwindeln) kommen ins Spiel.
Eine Art Crash-Kurs ist eine Methode, die in den USA von Azrin und Foxx in ihrem Buch Toilet Traning in Less Than a Day (1974) vorgestellt wurde, die ursprünglich für in Anstalten untergebrachte Erwachsene gedacht war. Die Autoren betonen zwar auch bei dieser Methode die Wichtigkeit der Sauberkeitsbereitschaft des Kindes, sie basiert aber auf der strukturierten Verhaltenstheorie und ist ein rigides Intensivtraining, bei dem die Eltern sich für einen Tag intensiv Zeit für ihr Kind nehmen sollen. Übermäßige Flüssigkeitszufuhr, Unmengen von Süßigkeiten und anderen Belohnungen, eine Puppe, die einnässen kann, "wohlmeinende Beifallsspender" wie die Lieblingshelden und praktische Übungen zur gewünschten Verhaltensänderung beinhaltet diese respektlose und zwanghafte Methode, von der selbst die amerikanische Kinderarztvereinigung (die eigentlich diese Methode befürwortet) sagt, dass sie teilweise an "körperlichen Missbrauch" grenzt. Ehrlich gesagt - diese positive Einstellung der Kinderärzte kann ich persönlich nicht nachvollziehen. Eine Methode, die dem Kind (und den Eltern) psychisch schadet, kann in keiner Weise empfehlenswert sein.
Heute wird die Methode des Abwartens (in meinen Augen eine Weiterentwicklung der Brazelton-Methode) bei Müttern immer beliebter. Das Töpfchen wird ab einem bestimmten Alter des Kindes (so ab dem 24. Lebensmonat) bereitgehalten und dann abgewartet, bis das Kind von selbst Interesse an dem Thema zeigt.
Bei all diesen Methoden wird das Kind lange Zeit gewickelt. Außerdem basieren sie auf die Annahme der Sauberkeitsbereitschaft beim Kind. Dabei wird aber nicht berücksichtigt, dass Babys sich ihrer Ausscheidungsbedürfnisse bewusst sind und diese auf einer nonverbalen, emotionalen und sinnesgesteuerten Ebene ausdrücken wollen (und nicht warten zu brauchen, bis sie sich sprachlich "richtig" ausdrücken können). Ein Baby, dessen Ausscheidungskommunikation (bzw. die Ausscheidungsbedürfnisse) nicht beachtet wird, vergisst und ignoriert diese - und lernt, dass es "normal" ist, sein Pipi und AA in den ersten Lebensjahren am Popo zu tragen.
Anfang des letzten Jahrhunderts und auch noch in der ehemaligen DDR wurden die Babys aufs Töpfchen gesetzt - und mussten darauf so lange sitzen, bis etwas im Töpfchen gelandet war. dabei waren "an Stuhlbeine festbinden" (um zu verhindern, dass die Kinder aufstanden) oder andere "Massnahmen" größtenteils üblich. Dieser Zwang, Bestrafung und psychischer Druck sind es, die zu der Kritik an der "frühen" Sauberkeitserziehung führten. Heute versetzt es die meisten Eltern in höchste Alarmbereitschaft, wenn sie hören, dass ein Baby bereits nach ein paar Monaten keine Windeln mehr benötigt (und aufs Töpfchen gesetzt bzw. abgehalten wird).
Seelischer Druck wird - meiner Meinung nach - auch mit der herkömmlichen Sauberkeitserziehung auf die Kinder ausgeübt. Und zwar dann, wenn "Unfälle" oder kleine Pannen passieren. Z. B. ist das kleine Kind (welches gerade trocken wird) ins Spiel vertieft, bemerkt den Druck der Blase nicht - und schon ist ein kleiner Unfall passiert. Je nach Situation reagieren dann die Eltern unterschiedlich. Von einem säuerlich auf dem Spielplatz zum Kind gezischten "Kannst du nicht Bescheid sagen?" und dem Versuch, so diskret wie möglich die Kleidung zu wechseln (weil es ja peinlich ist, wenn das Kind in dem Alter noch in die Hosen pieschert...) bis zum Anschreien zu Hause über einem enttäuschten Gesicht ("Jetzt hast du schon wieder in die Hosen gemacht... Mama ist darüber sehr traurig... das ist nicht lieb") und Bestrafungen (z. B. absichtlich nicht umziehen, damit das Kind merkt, was es heißt, in die Hosen zu machen und die feuchte Kleidung weiter anzubehalten).
Druck von außen spielt aber auch eine Rolle - eigentlich dürften z. B. Kindergärten Kinder nicht abweisen, nur weil sie noch nicht trocken sind (und noch gewickelt werden müssen). In der Praxis sieht das aber anders aus. Viele Kindergärten nehmen Kinder mit Windeln nicht auf - oder üben auch Druck auf die Eltern aus ("So langsam sollte Ihr Kind aber nun trocken werden... wir haben nicht die Zeit, ständig zu wickeln..."), die dann oft in Panik geraten und somit (unbewußten) Druck auf ihre Kinder ausüben. Oft müssen die Kinder dann auch zu einem bestimmten Zeitpunkt trocken sein (weil es ab diesem Zeitpunkt in den Kindergarten gehen soll), was dann wiederum in Zwang, Druck und Enttäuschungen sowie einem gestörten Verhältnis zwischen Kind und Eltern ausarten kann.
Diese Verhaltensweisen können beim Kind psychische Schäden anrichten - nicht aber TopfFit, bei dem es auf die liebevolle Zusammenarbeit und Kommunikation zwischen Baby und Betreuungsperson(en) ankommt, ein Miteinander ohne jeglichen Zwang, Druck oder gar Bestrafungen, wenn mal ein "Unfall" passiert.
(Quelle: "Es geht auch ohne Windeln" - Ingrid Bauer)